Die Nutzung digitaler Möglichkeiten zur Diagnostik, Gesundheitsförderung und Behandlung bei körperlichen Erkrankungen und psychischen Störungen stellt eine innovative Möglichkeit dar, die Versorgungsqualität in der Rehabilitation weiter zu verbessern.
Die Forschung zu digitalisierter Diagnostik, Internet- und mobile-basierten Interventionen (IMI) und künstlich-intelligenten Systemen zählt zu den produktivsten und erkenntnisreichsten Bereichen innerhalb der verhaltensmedizinischen und der psycho-sozialen Forschung der letzten zwei Jahrzehnte. E-Behavioral- und E-Mental-Health-Ansätze werden als vielversprechende Technologie-basierte Lösungen zur Erweiterung und Optimierung der rehabilitativen Versorgung entlang des Behandlungspfades von der Prävention über die Behandlungsinitiierung und Behandlungsbegleitung bis hin zur Nachsorge und post-rehabilitativen Versorgung diskutiert.
Diagnostisch bedarf es einer möglichst messpräzisen und testökonomischen Erfassung der funktionalen Gesundheit der Rehabilitand*innen zu Behandlungsbeginn, über den Verlauf und katamnestisch in der rehabilitativen Nachsorge. Auf der Grundlage einer psychometrisch hochwertigen Erfassung der funktionalen Gesundheit, basierend auf validierten Assessmentverfahren, bieten Internet- und mobile-basierte Diagnostiklösungen eine Unterstützung zur differentiellen Indikationsstellung, eine individualisierte und bedarfsorientierte Behandlungsplanung, ein kontinuierliches Verlaufsmonitoring sowie eine katamnestische Überprüfung des Behandlungserfolges (Baumeister et al. 2017).
Aufbauend auf einer psychometrisch hochwertigen Diagnostik bieten IMI vielfältige Möglichkeiten der (Begleit-)Behandlung körperlicher Erkrankungen (z.B. Diabetes, Schmerz, Tumorerkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen) und psychischer Störungen (z.B. Depression, Angststörungen, Suchtstörungen, somatoforme Störungen), der Förderung von Gesundheitsverhalten (z.B. Körperliche Aktivität, Medikamentenadhärenz) und der Reduktion von Risikoverhalten (z.B. Alkoholkonsum, Rauchen, Stress) sowie dem Aufbau transdiagnostisch relevanter Fähigkeiten (z.B. Behandlungsmotivation, Selbstmanagement, Selbstwirksamkeit, soziale Kompetenz und Emotionsregulation) (Baumeister et al. 2017; Bendig et al. 2018; Domhardt et al. 2018; Geirhos et al. 2019). Der Einsatz verschiedener IMI bietet sich je nach Gegenstand vor, während und nach der rehabilitativen Behandlung als Stand-alone Interventionen oder verzahnt mit der rehabilitativen Routineversorgung vor Ort an (Baumeister et al. 2017, 2018).
Jenseits konkreter digitaler Anwendungen bietet die Nutzung von Smarter Sensorik, d.h. über smarte Geräte wie Smartphone, Smartwatch und Bio-Sensorik, die Möglichkeit einen digitalen Fingerabdruck der Rehabilitand*innen abzubilden und basierend auf großen Datenmengen und Maschinenlernen-basierten Datenanalyseverfahren Vorhersagemodelle zu bestmöglichen, personalisierten Behandlungen und zum zu erwartenden Behandlungsverlauf zu treffen. Dieser als Digital Phenotyping bekannte Ansatz stellt derzeit einen der vielversprechenden Ansätze zur Realisierung einer personalisierten Medizin dar (Insel 2017; Baumeister und Montag 2019) und könnte derart die Verlaufs-und Ergebnismessung substantiell ergänzen.
Final steht die sprechende Medizin vor einem Wandel hin zu künstlicher Intelligenz unterstützten Diagnostik- und Behandlungsverfahren, bei denen intelligente Systeme das Wissen des Internets und spezifisch entwickelter Expertendatenbanken nutzen, um die Behandlung von Rehabilitand*innen mit dem Fachwissen unserer Welt zu unterstützten. KI-unterstützte Diagnostikansätze sowie automatisierte Behandlungsassistenten, auch Chatbots genannt, sind hierbei zwei der denkbaren Anwendungsfelder der Zukunft (Challen et al. 2019; Bendig et al. 2019).
Die Möglichkeiten einer digitalisierten Rehabilitation wie zuvor skizziert, bietet nicht nur vielfältige Potentiale, sondern auch ethische, gesellschaftliche, rechtliche und medizinische Risiken, die es gut abzuwägen gilt (Bostrom und Yudkowsky 2014; Kargl et al. 2019; Challen et al. 2019; Rubeis und Steger 2019). Gleichermaßen ist es bekanntlich ein weiter Weg von grundlagenwissenschaftlichen Erkenntnissen und notwendigen randomisiert-kontrollierten Wirksamkeitsstudien bis zur gelungenen Implementierung der als wirksam ausgewiesenen Interventionen in die rehabilitative Routine. Auf diesem Weg gilt es Wirksamkeitsstudien und Effektivitätsstudien („efficacy“ und „effectiveness“) durchzuführen, die Interventionen auf ihre Kosten-Effektivität, Akzeptanz und damit Reichweite aber dringend auch auf potentielle Nebenwirkungen und mögliche adverse Ereignisse hin zu untersuchen. Die Dissemination- und Implementierung vielversprechender Ansätze bedarf eines gesteuerten aktiven Prozesses, der wissenschaftlich begleitet erfolgen sollte (Baumeister 2014).
Final gilt es, in die Routine implementierte Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit in der Routineversorgung kontinuierlich zu überprüfen und in einem formativen Prozess weiterzuentwickeln. Dies gilt umso mehr, da der Bereich der Digitalisierung einen Innovationszyklus aufweist, dem die etablierten regulatorischen Prüfverfahren nicht mehr gerecht werden.
verwendete Literatur:
- Baumeister H (2014) Implementationsforschung in der Klinischen Psychologie, Rehabilitationspsychologie und Psychotherapie. Psychol Rundschau 65:150–158.
- Baumeister H, Grässle C, Ebert DD, Krämer L V. (2018) Blended Psychotherapy – verzahnte Psychotherapie: Das Beste aus zwei Welten? PiD – Psychotherapie im Dialog 19:33–38.
- Baumeister H, Lin J, Ebert DD (2017) Internet- und mobilebasierte Ansätze. Psychosoziale Diagnostik und Behandlung in der medizinischen Rehabilitation. Bundesgesundheitsbl 60: 436-444.
- Baumeister H, Montag C (Hrsg.) (2019) Digital phenotyping and mobile densing: new developments in psychoinformatics. Springer International Publishing, Berlin.
- Bendig E, Bauereiß N, Ebert DD, et al (2018) Internet- and mobile based psychological interventions in people with chronic medical conditions. Dtsch Aerzteblatt Int 115:659–665
- Bendig E, Erb B, Schulze-Thuesing L, Baumeister H (2019) Next generation: chatbots in clinical psychology and psychotherapy to foster mental health – a scoping review. Verhaltenstherapie 29: 266-280.
- Bostrom N, Yudkowsky E (2014) The ethics of artificial intelligence. In: Frankish K, Ramsey WM (Hrsg.) The Cambridge Handbook of Artificial Intelligence. Cambridge University Press, Cambrigde, 316–334.
- Challen R, Denny J, Pitt M, et al (2019) Artificial intelligence, bias and clinical safety. BMJ Qual Saf 28:231–237.
- Domhardt M, Ebert D, Baumeister H (2018) Internet- und mobilebasierte Interventionen. In: Kohlmann C-W, Salewski C, Wirtz MA (Hrsg.) Psychologie in der Gesundheitsförderung. Hogrefe, Bern, 397–410.
- Geirhos A, Klein JP, Ebert DD, Baumeister H (2019) Onlinetherapie verringert bestehende Lücken in der Versorgung. InFo Neurol Psychiatr 21:36–45.
- Insel TR (2017) Digital phenotyping. JAMA 318:1215. doi: 10.1001/jama.2017.11295
- Kargl F, van der Heijden RW, Erb B, Bösch C (2019) Privacy in mobile sensing. In Baumeister H, Montag C (Hrsg.) (2019) Digital phenotyping and mobile sensing: New developments in psychoinformatics. Springer International Publishing, Berlin, 3–12
- Rubeis G, Steger F (2019) Internet- und mobilgestützte Interventionen bei psychischen Störungen. Nervenarzt 90:497–502.